Süßer die Glocken nie klingen, wird es in einigen Tagen landauf, landab wieder heißen. Und wenn sie nicht mehr süß klingen, sind sie ein Fall für Sebastian Wamsiedler. Er ist Glockensachverständiger und weiß, woran es liegen kann, wenn irgendwas nicht stimmt beim Läuten. ,,Obwohl, die meisten Leute bekommen das gar nicht mit”, schildert der Experte aus Salzgitter. Ein gutes Gehör und Erfahrung sind nötig, um mögliche Fehler zu bemerken. Erst vor Kurzem fiel ihm bei der Christ-König-Kirche in Salzgitter-Bad auf, dass eine Glocke ein wenig schief klang.
Mittlerweile ist klar, woran das liegt. Sebastian Wamsiedler hat einen Riss entdeckt, das Instrument muss repariert werden. Allerdings lässt sich das nicht nebenher unter dem Kirchendach erledigen. Die Glocke muss ausgebaut werden, um die Stelle in einer Werkstatt in einem speziellen Verfahren wieder zu verschließen. Dabei wird die komplette Haube in einer Art Elektro-Ofen erhitzt und das Material verschweißt, damit ihr Geläut später wieder genauso klingt wie vor dem Malheur.
Oder fast genauso, denn exakt lässt sich das mit allem Wissen und aller Technik nicht lösen. Jede Glocke ist einmalig und bleibt es bis zum Ende ihrer Tage. Allerdings sind tiefe Risse im Material eher selten. Die älteste Glocke in Salzgitter in der Mariä-Jakobi-Kirche bringt es auf mehr als 530 Jahre und schwingt noch immer, wenn sie gebraucht wird. „Sie ist gut in Schuss", findet Sebastian Wamsiedler, der mit einer Arzttasche unterwegs ist, wenn er die Glocken abhorcht. Um seinen Auftrag umfassend erledigen zu können, benötigt er ein halbes Dutzend Stimmgabeln, die er an verschiedenen Punkten ansetzt und so reinhorcht in das Material. Mit einem Scheinwerfer leuchtet er von innen die Wände ab und schaut, ob es Merkmale im Metall gibt. Immerhin trifft der Klöppel viele Tausend Mal gegen den Schlagring der Glocke, die in den meisten Fällen aus Bronze besteht.
Und nicht überall geht die Kontrolle so einfach wie in St. Mariä Jakobi. Dort kommt er ,,verhältnismäßig bequem" über Treppen zu den drei Glockenstühlen, in vielen anderen Fällen muss er über Leitern steigen und durch Luken krabbeln, um den Job zu machen. Zu tun ist genug. Sebastian Wamsiedler hat keine genaue Zahl, schätzt aber, dass es allein in Deutschland noch immer mehr als 100.000 Glocken geben dürfte. Sein Einsatzgebiet erstreckt sich demnach über die ganze Republik, nicht nur um die Instrumente zu reparieren, sondern um ihre Klangfarbe zu bestimmen oder sie zu begutachten für einen Verkauf.
Dabei ist der Katholik selber ohne Glocken am Fredenberg aufgewachsen. „Unsere Kirche hatte keine." Über das Klavierspielen landete er bei der Orgel, die er einfach spannender fand und die er später bei zahlreichen kirchlichen Anlässen spielte. Bei Gottesdienten, Taufen oder Hochzeiten war er im Einsatz. Seine Übungsstunden an der Orgel während des Zivildienstes in der Bernward-Gemeinde in Thiede weckten das Interesse an den Glocken, was dazu führte, dass er seinen ursprünglichen Plan aufgab, Lehrer zu werden. Stattdessen absolvierte er ein Studium zum Glockengutachter in Halle und Regensburg. Diesen Schritt hat er bis heute nicht bereut, auch wenn er mitunter in Kirchendächern klettern und kriechen muss, damit die Glocken immer so süß klingen, wie es sich die Menschen wünschen. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
HANDEL MIT HEILIGEM GERÄT
Auch wenn es noch mehr als 100.000 geben dürfte, die Zahl der Glocken in Deutschland sinkt, weil immer mehr Kirchengemeinden ihre Gotteshäuser aufgeben oder sich keine neue leisten können. Gut 30 bis 35 Euro pro Kilogramm kostet die blanke Herstellung (Salzgitters schwerste Glocke von 1752 in der St. Mariä Jakobi wiegt gut drei Tonnen), der Transport und der Einbau sind da nicht mitgerechnet. Aus dem Abbau alter Glocken hat Sebastian Wamsiedler mit einem Kollegen ein Geschäftsmodell entwickelt. Er gründete 2015 die Glockenbörse, die ausrangierte Stücke vermittelt, was beiden Seiten etwas bringt und nachhaltig ist. Schließlich handelt es sich um tonnenweise Bronze, die sonst mit großen Aufwand eingeschmolzen und neu gegossen werden müsste. Europaweit ist Sebastian Wamsiedler tätig. So gingen vor drei Jahren die drei Glocken aus der früheren Matthäuskirche in Lebenstedt in die Ukraine und läuten heute in der orthodoxen Klosterkirche in der Stadt Tjatschiw. Allerdings ist der Handel nicht so einfach. ,,Das ist ja keine Schaufel oder ein Auto", betont Sebastian Wamsiedler. Glocken gelten als heiliges Gerät und genießen deshalb besonderen Schutz. Mehr Informationen finden sich auf www.glockenboerse.com.